Genom eines lebenden Fossils ermöglicht Reise in die Vergangenheit des Menschen
Mit Beteiligung der Universität Konstanz wurde das Genom des Knochenhechts entschlüsselt – Es erlaubt Einblicke in den Ursprung aller Wirbeltiere.
Der gefleckte Knochenhecht (Lepisosteus oculatus) ist ein primitiver Fisch, der scheinbar von der Evolution vergessen worden ist. Charles Darwin nannte solche Arten lebende Fossilien. Das Genom dieses Fisches, das am heutigen Montag, 7. März 2016, in Nature Genetics veröffentlicht wird, ist sowohl aus evolutionärer als auch medizinischer Sicht besonders interessant. Der Knochenhecht gehört zu einer der wenigen Arten, deren Genom noch den Urzustand vor der Genomduplikation der moderneren Fische bewahrt hat. An dem Genomprojekt beteiligt und Mitautor ist auch der Konstanzer Biologe Prof. Axel Meyer, Ph.D. Die Studie wurde von insgesamt 61 Forschern aus 33 Universitäten ausgeführt. Erstautor Dr. Ingo Braasch von der University of Oregon begann diese Forschung als Student von Axel Meyer.
Der Knochenhecht lebt in den Südstaaten der USA und im Mississippi. Seit über 400 Millionen Jahren hat er sich äußerlich kaum verändert und nimmt doch eine Schlüsselposition in der Geschichte der Wirbeltiere, einschließlich des Menschen, ein. Die Analyse des Knochenhecht-Genoms erlaubt eine Reise in die Vergangenheit auch des Menschen. Im Genom des Knochenhechts finden sich Gene, die auch im Menschen, aber nicht mehr in den allermeisten der in der medizinischen Forschung verwendeten Fischmodelle – beispielsweise dem Zebrafischmodell – vorkommen. „Deshalb erlaubt nun die vergleichende Genomstudie des Knochenhecht-Genoms, die ursprüngliche Funktion von Genen und regulatorischen Elementen, die auch im Menschen aktiv sind, zu analysieren“, sagt Axel Meyer.
Insbesondere „regulatorische Elemente“ – Teile des Genoms, die nicht für Proteine kodieren, die aber oft als Genschalter auch für Krankheiten wichtig sind – lassen sich bereits im Genom des Knochenhechts finden, obwohl der letzte gemeinsame Vorfahre von Knochenhecht und Mensch schon vor über 400 Millionen Jahre ausgestorben ist. Gerade diese „conserved non-coding elements“ (CNEs) spielen offensichtlich eine wichtige Rolle im Genom, da sie über so lange evolutionäre Zeiträume unverändert geblieben sind.
„In diesem Sinne ist das Knochenhecht-Genom eine methodische Brücke zu dem in der Medizinforschung verwandten Zebrafisch“, sagt Ingo Braasch. „Es erlaubt nun einen rigoroseren Ansatz für biomedizinische Forschung, um äquivalente genomische Regionen im Zebrafisch-Genom zu finden und damit Experimente und Mutanten zu designen.“
Aus der Sicht der evolutionären Genomforschung ist die Stellung der Knochenhechte im Stammbaum aller Wirbeltiere bedeutsam. Vor über 400 Millionen Jahren spaltete sich der Stammbaum der Knochenfische auf. Vom einen Ast stammen alle Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere, inklusive des Menschen, ab. Der andere Ast brachte fast sämtliche annähernd 30.000 Arten von Fischen hervor. Die Knochenhechte zweigten sich allerdings vom Hauptstamm der Fische ab, bevor dort vor etwa 320 Millionen Jahren eine Verdopplung des gesamten Genoms stattfand. Außer den Knochenhechten sowie insgesamt nur etwa 40 anderen Fischarten stammen fast alle heute noch lebenden Fische, wie auch der Zebrafisch, vom Knochenfisch ab, der ursprünglich doppelt so viele Gene hatte wie der Fischvorfahr, von dem schließlich auch die Menschen abstammen.
Viele dieser ursprünglich verdoppelten Gene gingen nachträglich wieder verloren, trotzdem haben die meisten Fische etwa 30 Prozent mehr Gene als der Mensch. Die Genomanalyse zeigt auch, dass das Knochenhecht-Genom nicht nur sehr ursprünglich ist, sondern auch nur langsam evolvierte.
Dass die Zahl der Kopien von Genen des Knochenfisches gleich der des Menschen ist, macht die Analyse des Knochenhecht-Genoms einfacher und erleichtert das Verständnis der Geschichte und Funktion des menschlichen Genoms. So konnte gezeigt werden, dass schon extrem alte regulatorische Elemente (enhancer) im sogenannten Hox-Gencluster des Knochenhechts bei einer Mausmutante die Funktion der Entwicklung der Hand steuern kann.
Auch erklären Gene im Knochenhecht-Genom die Evolution von hartem mineralisiertem Gewebe in Knochen und Zähnen bei Säugetieren. Die dem Säugetier äquivalenten Gene (ambn und enam) wurden zum ersten Mal im Fischgenom des Knochenhechtes gefunden.
Originalveröffentlichung:
Braasch et al. 2016. The spotted gar genome illustrates vertebrate evolution and facilitates human-teleost comparisions. Nature Genetics (published online March 7th 2016)
doi: 10.1038/ng.3526