Zwischen den Geschlechtern: Vermännlichung von Maulwurf-Weibchen
Die Weibchen des Iberischen Maulwurfs besitzen neben weiblichem Gewebe auch männliche Zellen, die Testosteron produzieren, in ihren Eierstöcken. Einem internationalen Forschungsteam unter Beteiligung von Evolutionsbiologen der Universität Konstanz ist es nun gelungen, die Veränderungen am Erbgut zu beschreiben, die für diese unter Säugetieren einzigartige Intersexualität verantwortlich sind. Die entsprechenden genomischen Veränderungen sind Thema einer aktuellen Veröffentlichung in Science.
Anders als alle anderen Säugetiere haben die Weibchen des Iberischen Maulwurfs (Talpa occidentalis) auch männliches Hodengewebe in ihren Eierstöcken. Obwohl sie wie alle weiblichen Säugetiere zwei X-Chromosomen im Genom haben, besteht das besondere Organ der weiblichen Maulwürfe, die sogenannten Ovotestes, aus beiden Gewebearten. Durch das zusätzliche Hodengewebe zirkuliert im Körper von weiblichen Maulwürfen fast ebenso viel Testosteron wie bei ihren männlichen Artgenossen. Maulwurfweibchen sind in diesem Sinne intersexuell – und damit einzigartig unter den Säugetieren. Dennoch funktionieren sie als fruchtbare Weibchen, denn das Hodengewebe produziert zwar Testosteron, aber keine Spermien.
In einer neuen Veröffentlichung im Fachjournal Science unter Beteiligung der Arbeitsgruppe um den Evolutionsbiologen Prof. Dr. Axel Meyer von der Universität Konstanz beschreibt ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nun erstmals die genetischen und genomischen Besonderheiten, die dieser bemerkenswerten sexuellen Entwicklung zugrunde liegen. Die Studie wurde unter Leitung von Prof. Dr. Stefan Mundlos vom Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik (MPIMG) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin, wo auch Erstautorin Francisca Martinez Real forscht, sowie von Dr. Darío Lupiáñez vom Berlin Institute for Medical Systems Biology (BIMSB), das zum Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) gehört, durchgeführt. Sie zeigt anhand von Experimenten mit transgenen Mäusen, dass die hohen Testosteronwerte der Iberischen Maulwürfe auch für die Weibchen von Vorteil sind, da das Testosteron die für das unterirdische Leben der Maulwürfe wichtige Muskelbildung anregt.
Hodenentwicklung durch DNA-Inversion
Üblicherweise findet bei Säugetieren während der embryonalen Entwicklung früh eine Festlegung auf das eine oder andere Geschlecht statt. Bei der weiteren Analyse des Maulwurferbgutes stellte das Team jedoch fest, dass bei den Weibchen des Iberischen Maulwurfs diese Geschlechtsbestimmung aufgrund von zwei sehr spezifischen Genomveränderungen nicht passiert. Prof. Dr. Axel Meyer war mit seinen Mitarbeitern Dr. Paolo Franchini und Dr. Peiwen Xiong maßgeblich an den Analysen des Maulwurfgenoms sowie der Interpretation und Annotation der damit verbundenen Daten beteiligt.
So fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Sequenzierung des Maulwurfgenoms, die erstmals vollständig gelang, heraus, dass im Gegensatz zu anderen Säugetieren beim Maulwurf ein umgedrehter Erbgutabschnitt (Inversion) in einem Bereich vorliegt, der an der Bildung von Hodenzellen beteiligt ist. Dies führt zu Veränderungen bei der für die Steuerung des betroffenen Gens FGF9 verantwortlichen regulatorischen Domäne, so dass sich bei weiblichen Maulwürfen zusätzlich zum Eierstockgewebe auch Hodengewebe entwickelt.
DNA-Vervielfachung befeuert Testosteronproduktion
Außerdem entdeckte das Forschungsteam eine Verdreifachung eines Genom-Abschnitts um das Gen CYP17A1, das für die Produktion männlicher Sexualhormone (Androgene) verantwortlich ist. Durch diese Vervielfachung entstehen zusätzliche Steuersequenzen, die in den Ovotestes der Maulwurfweibchen zu einer verstärkten Produktion insbesondere des männlichen Geschlechtshormons Testosteron führen.
Faktenübersicht:
- Beteiligung der Arbeitsgruppe für Zoologie und Evolutionsbiologie des Konstanzer Biologen Prof. Dr. Axel Meyer an einer Studie im Fachjournal Science zur sexuellen Entwicklung des Iberischen Maulwurfs (Talpa occidentalis).
- Neue Erkenntnisse zu den genetischen und genomischen Besonderheiten, die bei den Weibchen dieser Maulwurfart zu Intersexualität führen.
- Internationales Forschungsteam unter Leitung von Prof. Dr. Stefan Mundlos vom Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik (MPIMG) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin, wo auch die Erstautorin der Studie, Francisca Martinez Real, forscht, und Dr. Darío Lupiáñez vom Berlin Institute for Medical Systems Biology (BIMSB), das zum Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) gehört.
- Die erstmals gelungene vollständige Sequenzierung des Maulwurfgenoms und dessen Analyse zeigen, dass Vervielfachungen und Inversionen von bestimmten DNA-Abschnitten bei den Weibchen zur Entwicklung von Hodengewebe und der Produktion von männlichen Geschlechtshormonen, insbesondere Testosteron, führen.
- Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass diese evolutionäre Besonderheit den Weibchen Vorteile beim Überlebenskampf unter der Erde verschafft.
- Originalpublikation: Real, Francisca M. et al., The mole genome reveals regulatory rearrangements associated with adaptive intersexuality, Science, 8. Oktober 2020. URL: https://science.sciencemag.org/cgi/doi/10.1126/science.aaz2582.