Das koloniale Erbe Europas prägt bis heute die Pflanzenwelt
Die Verschleppung von Pflanzenarten in fremde Gebiete hat dauerhafte Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und auf die Lebensgrundlagen von Menschen – so die Ergebnisse der aktuellen Studie eines internationalen Forschungsteams unter Leitung von Forschenden der Universität Wien und Beteiligung von Wissenschaftlern der Universität Konstanz.
Durch koloniale Handelspolitik wurden die Floren besetzter Gebiete geprägt, diese Veränderungen sind bis heute sichtbar und finden teils immer noch statt. Das stellte ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Biodiversitätsforscher Bernd Lenzner und Franz Essl von der Universität Wien und unter Beteiligung der Konstanzer Biologen Mark van Kleunen und Qiang Yang fest. Die Pflanzenwelten in Gebieten, die ehemals von der gleichen Kolonialmacht besetzt wurden, ähneln einander heute noch stark. Diese Ähnlichkeit nimmt zudem mit der Dauer der ehemaligen Besetzung zu. Die neuen Erkenntnisse wurden in der Fachzeitschrift "Nature Ecology and Evolution" veröffentlicht.
Die globale Verschleppung von gebietsfremden Pflanzen, also von Pflanzenarten, die ursprünglich nicht in einer bestimmten geografischen Region heimisch waren, steht in engem Zusammenhang mit Migrationsbewegungen der Menschen – vor allem mit dem Beginn der Europäischen Expansion und dem Kolonialismus im 15. Jahrhundert. Damals führten die europäischen Kolonialmächte Pflanzen vorrangig aus wirtschaftlichen Gründen in ihre Herrschaftsgebiete ein, um so das Überleben ihrer Bevölkerung zu sichern und den Aufbau von Siedlungen zu fördern. Aber auch aus ästhetischen und nostalgischen Gründen wurden Pflanzen verschleppt. Insbesondere wurden viele Pflanzenarten als Nahrungs- und Futtermittel und für den Gartenbau in und aus den kolonisierten Regionen gehandelt, woraufhin sich in diesen Regionen im Laufe der Zeit eine gebietsfremde Flora etablierte.
Je länger Regionen von einer Kolonialmacht besetzt waren, desto ähnlicher sind sich die nicht-heimischen Floren
"Die restriktive Handelspolitik der europäischen Kolonialmächte sorgte dafür, dass Pflanzen vor allem zwischen jenen Regionen gehandelt wurden, die von derselben Macht besetzt waren. Daher waren die ausgetauschten Pflanzenarten weitgehend auf die jeweiligen Herrschaftsgebiete beschränkt. Folglich wurden sich die Floren von Regionen, die unter derselben Kolonialmacht standen, ähnlicher verglichen mit den Regionen außerhalb – ein Prozess, der sich mit der Dauer der Besetzung verstärkte", sagt Bernd Lenzner, Hauptautor der Studie. Die Studie zeigt, dass die Handelspolitik bei der Ansiedlung fremder Arten ebenso wichtig ist wie andere Faktoren die heute Ausbreitung gebietsfremder Pflanzenarten erklären, wie zum Beispiel die sozioökonomische Entwicklung oder die Bevölkerungsdichte in einer Region.
Strategische und wirtschaftliche Bedeutung einer Region erhöhen die Ähnlichkeit
Darüber hinaus weisen Regionen, die während des Kolonialismus besonders wichtige wirtschaftliche oder strategische Rollen spielten, untereinander eine noch größere Ähnlichkeit in ihren Floren auf – verglichen mit weniger einflussreichen Gebieten. Beispiele dafür sind ehemalige Handelszentren wie die Regionen im Indo-Malaiischen Archipel, die für den internationalen Gewürzhandel entscheidend waren, oder Inseln wie die Azoren oder St. Helena, die beide wichtige Zwischenstationen auf langen, transozeanischen Reisen waren. Die WissenschafterInnen halten fest: Im Kolonialismus entstandene Abhängigkeiten bestehen bis heute. Überseegebiete oder gemeinsame Sprachen prägen auch heute noch den Handel und damit den Austausch gebietsfremder Pflanzenarten.
Die vollen Auswirkungen werden erst in der Zukunft beobachtbar sein
"Es ist wichtig die Vergangenheit zu verstehen, um daraus Lehren für unsere Zukunft zu ziehen. Wir wussten, dass es Jahrzehnte dauern kann, bis sich gebietsfremde Arten in einer Region, in die sie eingeführt wurden, etablieren und ausbreiten, und dass dieser Prozess oft mit erheblicher Verzögerung abläuft", sagt Franz Essl, Seniorautor der Studie. "Dies legt nahe, dass auch die heutigen Verwaltungs- und Handelsbeziehungen zwischen verschiedenen Regionen darüber bestimmen werden, welche gebietsfremden Arten sich in den kommenden Jahrzehnten wo ansiedeln werden", führt Mark van Kleunen von der Universität Konstanz und einer der Mitautoren der Studie fort. Franz Essl fügt hinzu: "Es ist bemerkenswert, dass wir solche Hinterlassenschaften noch mehrere Jahrzehnte, manchmal sogar Jahrhunderte nach dem Zusammenbruch europäischer Kolonialreiche feststellen können. Das zeigt, dass wir sehr vorsichtig und bewusst mit den Pflanzenarten umgehen müssen, die wir um die Welt transportieren, da sie wahrscheinlich dauerhafte Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die Lebensgrundlagen der Menschen bis weit in die Zukunft hinein haben werden".
Angepasste Version der Original-Pressemitteilung der Universität Wien.